Josef Rahm war mehr als vier Jahrzehnte Geschäftsführender Gesellschafter des Troisdorfer Sanitätshauses rahm - Zentrum für Gesundheit. In dieser Zeit stieg rahm vom handwerklichen Kleinbetrieb in Siegburg zu einem Mittelständler von nationalem Rang auf. Heute beschäftigt das Unternehmen 520 Mitarbeiter in 32 Filialen und erwirtschaftet mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz. Dieses Interview dokumentiert einen bodenständig gebliebenen heimatverbundenen Ausnahmeunternehmer und seine Sicht auf das eigene Lebenswerk. Das Gespräch mit Carsten Seim entstand im Rahmen der Produktion eines Buches zum 70. Geburtstag Josef Rahms. Redaktion und Texte verantwortete avaris | konzept in Zusammenarbeit mit der Geschäftsführenden Gesellschafterin Meike Rahm.

Der Aufstieg und das unternehmerische Risiko

Als Sie 1972 die väterlichen Orthopädieschuhmacher-Werkstatt in Siegburg übernommen haben, hatten Sie damals bereits das Ziel vor Augen, daraus ein Unternehmen von nationalem Rang zu formen?

Nein, das war nicht so. Mein Vater Willi Rahm verstarb plötzlich. Ich war einziges Kind und hatte die Meisterprüfung bereits abgelegt. Also habe ich selbstverständlich die Werkstatt übernommen. Wir beschäftigten uns damals mit Orthopädieschuhtechnik und betreuten auch den damaligen Chefarzt der Orthopädie an der Kinderklinik St. Augustin, Dr. Bergk. Er fragte mich irgendwann: „Warum machen Sie nicht auch die Orthopädietechnik für uns?" Das war ein Satz, der eher beiläufig fiel. Für mich war er der entscheidende Denkanstoß für die gesamte spätere Entwicklung des Unternehmens. Ein weiterer Wachstumstreiber war die gesellschaftliche Alterung in Deutschland. Dadurch entstand eine steigende Nachfrage nach unseren Produkten. Mir war recht schnell klar, dass die Herausforderungen am Markt in den engen Grenzen eines Handwerksbetriebes nicht mehr zu bewältigen waren. Und ich war möglicherweise schneller als andere bereit, mich dem anzupassen. Ich war im Übrigen auch nicht der leidenschaftliche Handwerker, wie es mein Vater Willi Rahm gewesen ist.

Sie haben 1978 in eine GmbH umfirmiert. Ging es dabei darum, wachsende Risiken zu managen?

Für die Finanzierung der Investitionen, die ich als Familienunternehmer auf dem Wachstumspfad geleistet habe, habe ich bis zur Jahrtausendwende immer auch persönlich mit meinem Privatvermögen gehaftet. Denn die dafür erforderlichen Investitionskredite waren immer auch an persönliche Bürgschaften geknüpft.

Das heißt: Im Falle eines unternehmerischen Misserfolgs wären Haus und Hof in Gefahr gewesen?

Ja. Ich hatte sicher Glück, dass meine Entscheidungen zumindest zu 90 Prozent die Richtigen gewesen sind. Solche existenziellen Risiken, wie wir sie damals eingegangen sind, bestehen in den gereiften Strukturen unseres heutigen Unternehmens nicht mehr.

Was sind denn die Hauptrisiken in Ihrer Branche?

In unserer Branche ist das unternehmerische Risiko relativ. Relativ deshalb, weil wir zu 80 Prozent mit Krankenkassen zusammenarbeiten. Damit haben wir zumindest kein Ausfallrisiko für das, was wir abrechnen. Das ist ein Vorteil. Auf der anderen Seite sind Krankenkassen sehr harte und erfahrene Verhandler bei der Preis- und Vertragsgestaltung. Zudem wird der demographische Wandel weiter voranschreiten, die Kosten auf Seiten der Kassen werden steigen - und dies wird dazu führen, dass unsere Kunden zukünftig an den Kosten beteiligt werden.

Nach gut vier Jahrzehnten rahm: Was macht das Erfolgsrezept eines Unternehmers aus?

Er muss investitionsbereit sein. Ich habe ein Geschäftsführergehalt bezogen, aber ansonsten nie eine Mark aus dem wachsenden Unternehmen herausgenommen. Man muss als Unternehmer ein Gespür für die richtigen Entscheidungen haben. Und das muss rasch geschehen. Wichtig auch: Man muss zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute kennenlernen.

Wo sehen Sie die Grenzen des Wachstums?

Der 100-Kilometer-Radius als Vertriebsgebiet wird - so denke ich - auf absehbare Zeit bleiben. Die Distanz zwischen Zentralwerkstatt und Filiale darf nicht größer werden. Denn auch in den Filialen müssen Leute sein, die aus eigener Anschauung wissen, wie die Abläufe in der Zentralwerkstatt aussehen. Es mag sein, dass dies bei den neuen elektronischen Mess- und Scantechniken, die vor der Tür stehen, etwas anderes sein wird. Aber derzeit sind immer wieder Absprachen nötig. Unser Handwerk ist trotz standardisierter Prozesse immer auch noch ein Stück weit Gefühlssache. Schließlich wird hier mit Menschen gearbeitet.

Es gibt in diesem 100-Kilometer-Radius noch ein paar weiße Flecken auf der Landkarte. Da können wir noch hineinwachsen. Auch die Zahl der Filialen innerhalb unseres Gebietes kann noch zunehmen. Treiber dieser Entwicklung ist die Konzentration von Arztpraxen zu Ärztehäusern. Da gibt es schon die Erwartung, dass auch wir da mit einer Filiale präsent sind. Sonst machen das womöglich andere. Es geht darum, unser Gebiet zu halten und unsere Marktführerschaft hier weiter auszubauen. Wir würden wohl noch mehr Filialen eröffnen, wenn wir geeignetes Personal hätten.

Jüngster Meilenstein in der rahm-Geschichte ist das ProtheoFit-Zentrum - ein hochmodernes Trainingscenter für Menschen mit Handicaps. Es heißt, Sie hätten entschieden, dass es gebaut wird, ohne dass die Finanzierung klar war. Wie kam es dazu?

Ich habe solche Center in den USA und in Holland gesehen und sofort gesagt: „Ich will das haben!" Es geht darum, wie man Menschen nach einer Amputation oder nach einem Schlaganfall wieder optimal ans Laufen bekommt. Solche Zentren gab und gibt in Deutschland sonst nicht. Die Investition von rund 2,5 Millionen Euro kann sich natürlich nicht auf direktem Wege rechnen! ProtheoFit ist ein Imageprojekt unseres Unternehmens. Wir bauen damit unsere Vorreiter-Position in der Branche weiter aus. Das sind die Entscheidungen, bei denen man erst viel später weiß, ob es die Richtige war. Aber gerade das macht es doch aus. Unternehmer zu sein; das heißt eben, etwas zu unternehmen.

Familienunternehmer Josef Rahm und seine Mitarbeiter

Welche Anforderungen haben Sie an Ihre Mitarbeiter?

Ich lege Wert darauf, dass wir unsere Mitarbeiter selbst ausbilden. Sie durchlaufen in ihrer Ausbildung zwei Filialen, vielleicht noch eine Werkstatt-Station und werden dort richtig fitgemacht. Das sind mir die liebsten.

Wie gelingt es Ihnen, Ihre Mitarbeiter zu binden?

Für viele Mitarbeiter hat unsere Größe einen absoluten Reiz - und trotz der Menge an Mitarbeitern arbeitet man immer noch in einem Familienunternehmen. Parallel dazu legen wir Wert auf gute Arbeitsbedingungen an jedem Arbeitsplatz. Inhaber von Schlüsselpersonen aus unserer Führungsebene I und II binden wir über eine Beteiligungs-GmbH, die einen prozentualen Unternehmensanteil hält. Dieser engere  Kreis ist damit am Unternehmensgewinn beteiligt. Der Unternehmensanteil wächst natürlich mit der Expansion von rahm.

Manche unter den älteren Mitarbeitern nennen Sie auch ehrfürchtig „den Josef". Das klingt ein wenig wie das Highlander-Motto: „Es kann nur einen geben ..."

Das ist heute anders. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich in einen unserer Läden gekommen bin, und man hat mich mit „Wie kann ich Ihnen helfen?" begrüßt. Bei einem auf mehr als 500 Mitarbeiter gewachsenen Team kann ich nicht mehr wie früher jeden persönlich kennen. Darüber hinaus haben die vielen neuen jüngeren Leute bei rahm eine ganz andere Beziehung zum Unternehmen und seinen Führungspersonen als die Altgedienten.

Wie gehen Sie damit um?

Meine Tochter Meike zieht derzeit ein neues Regelwerk in die Personalpolitik des Unternehmens ein. Zentraler Bestandteil ist ein transparentes Einstufungssystem innerhalb bestimmter Gehaltsspannen. In Jahresgesprächen mit dem Vorgesetzten geht es darum, ob die jeweilige Einstufung innerhalb einer gewissen Spanne gerechtfertigt ist, oder ob Höhergruppierungen möglich sind.

Der Generationenwechsel und der Mut, andere für sich arbeiten zu lassen

Sie haben mit Ihrer Tochter Meike eine Generationenwechsel bei rahm eingeleitet. Wann hat das begonnen?

Seit etwa fünf Jahren gebe ich mehr und mehr Verantwortung in ihre Hände, weil ich das Haus mit ihr und unseren angestellten Geschäftsführern gut bestellt weiß. Die Chemie zwischen uns stimmt, ich vertraue ihr. Wir verfügen zudem mit Klaus Meurer und Frank Rogge über zwei Geschäftsführer, die ihre Wurzeln im Handwerk haben. Mit meinem Neffen Martin Rahm und unserem neuen kaufmännischen Leiter Eberhard Dörr, der seit dem 1. August 2014 bei uns ist,  haben wir zwei Personen, die die Kennzahlen des Unternehmens im Blick haben.

Schrittweiser Rückzug - wie muss man sich das bei einem Menschen vorstellen, der als Unternehmer 40 Jahre „Vollgas" gefahren ist?

Ich werde jetzt ganz sicher nicht nur daheim sitzen und Rasen mähen. So geht es nicht! Aber ich kann auch nicht verleugnen, dass ich in diesem Jahr 70 Jahre alt werde. Ich komme inzwischen morgens schon einmal um halb zehn und gehe um 15 Uhr. Irgendwann werden es vielleicht auch nur noch zwei Tage in der Woche sein. Man braucht sicher Mut, auch andere arbeiten und entscheiden zu lassen. Ich bin natürlich immer noch gern im Unternehmen - und ich kann mich auch daran freuen, wie andere den Betrieb voranbringen. Nun war ich gerade 14 Tage im Urlaub und habe nach meiner Rückkehr gesehen, dass die Unternehmenszahlen auch ohne mein Zutun stimmten. Das war noch vor wenigen Jahren so nicht möglich, und das gibt mir schon ein gutes Gefühl. Die Einstellung des kaufmännischen Geschäftsführers war der letzte Schritt, diese Entwicklung zu vollenden. Ich werde auch weiter jede Woche dabeisitzen, wenn über die Entwicklung von rahm berichtet wird.

Josef Rahm, der Stolz aufs eigene Lebenswerk und sein Blick in die Zukunft

Wenn Sie auf Ihr Lebenswerk zurückschauen, empfinden Sie dann Stolz auf das Erreichte?

Das ist die Summe vieler Entscheidungen, die ich zu treffen hatte. Neun von zehn waren in der Rückschau richtig. Und ein bisschen Glück habe ich im Leben auch gehabt. Ja, ich bin stolz auf das Erreichte.

Alle Erfolgreichen haben immer auch ein Neidproblem. Wie gehen Sie damit um?

Natürlich sind wir nicht bei allen in der Branche beliebt. Mein Weg hätte jedem Anderen in der Branche auch offen gestanden. Und es ist auch gar nichts Geheimnisvolles dabei. Außer vielleicht, dass ich auf Entwicklungen schneller und konsequenter reagiert habe und bereit war, mit vollem persönlichen Risiko für meine Entscheidungen einzustehen. Wenn man als Unternehmer die eine oder andere Alternative wählt, kann man nie ALLE Konsequenzen absehen. Es hätte auch anders ausgehen können.

Die Publikation mit 175 Seiten Umfang entstand in einer Kooperation von Meike Rahm und Carsten Seim (Texte/Redaktion) sowie der Agentur dimensionen querdenken.

Carsten Seim, avaris | konzept, Redaktionsbüro für strategische Kommunikation - Kommunikative Beratung | Öffentlichkeitsarbeit | Redaktion | Seminare

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