Medien berichten über den "zehnten Jahrestag" der Weltwirtschaftskrise. Im April 2009 habe ich mich in einem Kommentar mit den seinerzeitigen apokalyptischen Schlagzeilen aufmerksamkeitssuchender Medien beschäftigt, die aus meiner Sicht unhistorische Vergleiche zu Weimarer Zeiten zogen. Bundeskanzlerin Merkel halten viele ihr damaliges Krisenmanagement zugute. Nicht vergessen sollte man aber den Krisenmanager an ihrer Seite, Finanzminister Peer Steinbrück, der sich am Ende in seiner Partei verhedderte. 

Mein Kommentar vom 3. April 2009 trug die Headline:

"Doch alles Krise?"

"Trotz einer Flut negativer Meldungen zur konjunkturellen Entwicklung bleibt die Stimmung bei den Verbrauchern insgesamt nahezu unverändert", schrieb die Gesellschaft für Konsumforschung am 26. März 2009 zur Veröffentlichung ihres  Konsumklimaindexes. Die Konjunktur- und Einkommenserwartungen seien "nach Zuwächsen im Vormonat jetzt zwar leicht rückläufig". Die Anschaffungsneigung bleibe jedoch "auf gutem Niveau". Mehrere Male in Folge hatte sich das Konsumklima in Deutschland zuvor verbessert.

Wenige Tage später, am 1. April 2009 (!), publizierte ein Wirtschaftsblatt die Schlagzeile: "Arbeitsmarkt droht zu kippen: Schwärzester März seit 1928". Anlass für die alarmierende Headline war eine Veröffentlichung der Agentur für Arbeit. Danach sei erstmals seit 1928 die sonst übliche Frühjahrsbelebung am Arbeitsmarkt ausgeblieben.
 
Die Schlagzeile "dreht", wie es Medienleute sagen, die inflationären Meldungen über die angeblich schlimmste Rezession seit dem zweiten Weltkrieg "weiter". An ihr zeigt sich einmal mehr die Problematik historischer Vergleiche, die sich aktuell durch die Krisenberichterstattung ziehen.

Wie war die Lage im Deutschland von 1928 – 10 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg? Das Land hatte eine verheerende Hyperinflation hinter sich, die weite Bereiche des deutschen Mittelstandes um seine Ersparnisse gebracht hatte. In den Jahren vor 1928 hatte sich die deutsche Wirtschaft nach einer Währungsreform zunächst wieder erholt. Zwischen 1922 und 1928 erhöhte sich der Bestand von PKW und LKW von 125.000 auf rund 470.000. Heute gibt es übrigens 56,3 Millionen Autos (Stand 2005) in Deutschland.  (Quelle: Bundesumweltamt.)

Es folgte die Weltwirtschaftskrise, die das bereits schwer angeschlagene deutsche Reich schwer mitnahm. Das Produktionsvolumen der deutschen Industrie sank von 1929 bis 1932 um 40 Prozent auf den Stand von 1904. 1931 kam es in Folge des Zerfalls des internationalen Währungssystems zu einer schweren Bankenkrise, was die wirtschaftliche Rezession verschärfte. Massenarbeitslosigkeit und grassierende Armut waren die Folge. (Quelle: Deutsches Historisches Museum)

Zurück zur Schlagzeile vom 1. April: Unterdessen hat die Bundesagentur für Arbeit auf Nachfragen der Deutschen Presseagentur ihre Jahresangabe korrigiert: Tut uns leid, ein Zahlendreher. Eine nachträgliche Überprüfung der Zeitreihen habe gezeigt, dass die März-Arbeitslosigkeit zuletzt im Jahr 1949 gestiegen sei. Man hat die Öffentlichkeit ungewollt in den April geschickt.

Unabhängig davon, ob der März 2009 nun so "schwarz" wie 1928 oder 1949 ist, stellt sich die Frage, ob er dies deshalb ist, weil der "Arbeitsmarkt kippt".

Ist die Nachricht wirklich überraschend, dass vor dem Hintergrund einer in der Tat außgergewöhnlich schweren weltweiten Konjunkturkrise der Beschäftigungszuwachs zunächst gestoppt wird, den Deutschland nach den Reformen der Agenda 2010 und als Resultat mehrerer Aufschwungjahre erlebte?

Unterstellt, dass sich pessimistische Szenarien bewahrheiten, könnte die Arbeitslosigkeit auf deutlich über vier – wenn nicht fünf – Millionen steigen – das wäre das Niveau des Jahres 2005 (siehe Grafik des IZA). So bedrückend die Beschäftigungsprobleme damals waren (und es vielerorts auch heute nach einer Aufschwungphase immer noch sind): Wer würde in diesem Zusammenhang aus seiner Erinnerung an das Jahr 2005 eine Relation zu den Jahren 1928 oder 1949 herstellen wollen?

Wenn – was abzusehen ist – die Folgen der weltweiten Krise stärker als bisher bei den Menschen ankommen, haben sich viele Maxima für die Berichterstattung bereits so weit abgenutzt, dass man sich fragt, welche Formulierungen noch folgen werden, nachdem die Spanne bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg nun bereits ausgeschöpft ist. Es blieben dann womöglich nur noch Überschriften wie "Dunkelste Wolken am Konjunkturhimmel sei Beginn der Wetteraufzeichnungen". Das war vor vor mehr als 100 Jahren.

Statt unhistorischer Vergleiche ist der Blick aufs Hier und jetzt gefordert. Unterstellt, dass die Krise in diesem Jahr fünf Prozent Bruttoinlandsprodukt kostet, könnten wir uns nach einer aktuellen Berechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) auf dem realen Niveau des Jahres 2005 wiederfinden. Bitter genug – denn das  würde bedeuten, dass die Krise das Wachstum dreier Aufschwungjahre in Deutschland zunichte macht. Aber mit den Lebensumständen der Zeiten nach dem ersten oder zweiten Weltkrieg hätte das immer noch nichts gemein.

Gefordert ist aktuell nicht noch mehr Aufregung sondern Analyse. Wie geht man mit der Krise um? Vor allem: Wie sind auch im Auftragstal die wirtschaftlichen, industriellen und produktiven Kapazitäten am Leben zu erhalten? Das sind entscheidende Fragen, deren Beantwortung notwendig ist, um am nächsten Aufschwung – der ganz bestimmt kommen wird – teilhaben zu können. Eine Rückkehr der "German Angst" hilft dabei nicht – denn Angst war noch nie ein guter Ratgeber.

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